Warum so wenige Menschen gerne verhandeln – und warum es sich trotzdem lohnt

Wie viel Erfahrung haben Sie mit Verhandlungen? Falls Sie jetzt sagen, dass Sie sich eigentlich vor jeder Verhandlung am liebsten drücken und Ihre Fähigkeiten entsprechend gering einschätzen, denken Sie bitte noch einmal nach: Wie war das denn, als Sie im Alter von drei Jahren unbedingt das Eis essen wollten, das Ihre Mutter Ihnen verboten hatte? Oder erinnern Sie sich noch an die Szene, als Sie im Teenageralter den Abend lieber mit Freunden verbringen wollten als Zuhause? Ich möchte wetten, dass Sie sich damals nicht so einfach in Ihr Schicksal gefügt, sondern um Ihr Ziel gekämpft haben.

Warum fürchten sich also so viele Verkäufer vor professionellen Verhandlungen? Warum fällt es ihnen so schwer, für ihre Erwartungen einzustehen, wenn sie doch privat ihr Leben lang nichts anderes machen? Und zwar ganz egal, ob es darum geht, sich selbst den nächtlichen Gang zum Kühlschrank zu erlauben oder darum, den Besuch bei den Schwiegereltern herauszuzögern.

Belohnung und Verlust

Lassen Sie uns einen Blick auf wissenschaftliche Fakten werfen, um diese Frage zu klären: Tatsächlich hat die Hirnforschung gezeigt, dass jede Kaufentscheidung das Ergebnis eines Wettbewerbs im Kopf ist. Wir sprechen von einer regelrechten Gradwanderung zwischen der Freude, etwas zu bekommen (Belohnung), und dem Schmerz, etwas dafür bezahlen zu müssen (Verlust). Da Gewinne und Verluste unabhängig voneinander in verschiedenen neuronalen Systemen verarbeitet werden, sind Verhandlungen für das Gehirn mit enormen Anstrengungen verbunden. Nicht nur, weil die verschiedenen Systeme des Gehirns intensiv miteinander Informationen und Bewertungen austauschen müssen, sondern auch weil in einer Verhandlung ständig neue Alternativen und Angebote eintreffen. Da das Gehirn aber nur begrenzte Ressourcen und Verarbeitungskapazitäten hat, wird es schnell überfordert. Deshalb denken wir lieber in gewohnten Bahnen, als uns voll und ganz den häufig spontan entstehenden Chancen und Risiken einer Verhandlung zu widmen, deren Abwägung Kraft kostet. Der Punkt ist: Das bewusste Herbeiführen von Verhandlungssituationen tut unserem Gehirn gut, denn es ist wie ein Muskel, den man trainieren muss, damit er stark wird. Wie lohnenswert dieses Training ist, zeigt wieder der Blick auf die Hirnforschung: Wir sollten verhandeln, weil wir dadurch die Chance haben, mehr Freude als Schmerz zu erleben. Außerdem wird uns das Belohnungssystem bei jeder erfolgreichen Verhandlung auch noch mit einer großen Portion Zufriedenheit beglücken. Oder haben Sie etwa noch nie Begeisterung verspürt, weil Sie das Gefühl hatten, ein absolutes Schnäppchen erstanden zu haben?

Dieses Gefühl können Sie durch die bewusste Konfrontation mit Verhandlungssituationen künftig häufiger haben. Aber denken Sie daran:

Nur durch Herumsitzen ist noch niemand ein Marathonläufer geworden. Und ohne Verhandlungstraining wird auch niemand gerne und professionell verhandeln.

Je wichtiger das gewünschte Produkt für einen Menschen ist, desto weniger ist er bereit zu verhandeln.

Gründe für Verhandlungen

Generell lassen sich zwei Hauptgründe ausmachen, warum Menschen davor zurückschrecken, sich bewusst auf Verhandlungen einzulassen: Der eine ist Unsicherheit und der andere ist die Mentalität. Wie entscheidend sich Unsicherheit auswirken kann, habe ich unlängst bei einem guten Freund gesehen, zu dessen Hochzeit ich eingeladen war. Wir feierten ein rauschendes Fest in einem bezaubernden Schlosshotel mit allen Raffinessen, und da ich wusste, dass er ein ausgefuchster Verhandlungsprofi ist, konnte ich mir nicht verkneifen, ihn nach dem Preis zu fragen. Er nannte mir einen fünftstelligen Betrag, den ich so in etwa auch erwartet hätte. Auf seine Antwort auf meine nächste Frage war ich allerdings nicht vorbereitet. Ich wollte wissen, wie viel Rabatt er ausgehandelt habe – wie gesagt, in Sachen Verhandlungen macht ihm so schnell niemand etwas vor – und er antwortete: „Gar keinen. Ich hatte Sorge, dass ich nachher weniger Leistung bekomme, wenn ich jetzt den Preis drücke. Vielleicht wäre dann am Service eingespart worden, und meine Gäste hätten warten müssen, bis ihnen der Wein nachgeschenkt wird. Das wollte ich einfach nicht.“

Für mich bestätigt diese Geschichte, was mir auch in meinen Trainings immer öfter auffällt: Je wichtiger das gewünschte Produkt für einen Menschen ist, desto weniger ist er bereit zu verhandeln. Allerdings lassen sich entsprechende Sorgen sowohl durch eigene Recherchen als auch durch das Hinzuziehen eines Fachmanns relativ einfach beseitigen. Und wäre die Hochzeit meines Freundes nicht noch viel schöner gewesen, wenn er gewusst hätte, dass er für einen deutlich niedrigeren Preis dieselbe Leistung bekommen hätte? Dann hätten ihm die teuren Flitterwochen wahrscheinlich gleich doppelt so viel Spaß gemacht.

Neben der Unsicherheit, ob man für einen geringeren Preis auch Abstriche bei der Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung hinnehmen muss, besteht gerade bei Menschen, die nicht professionell als Ein- oder Verkäufer arbeiten, ein häufiger Unsicherheitsfaktor darin, dass sie oft gar nicht wissen, was sie tatsächlich wollen. Logisch, dass man dann nicht gerne verhandelt. Aber auch dieses Problem lässt sich lösen, indem man sich vor einer Verhandlung bewusst macht, was das Mindestziel ist, das man erreichen möchte.

Und was hat es jetzt mit der Mentalität auf sich?

Wahrscheinlich ist die Abneigung gegen das Verhandeln eine eingeübte oder erlernte Verhaltensweise, die man sich nur durch entsprechende Übung wieder abtrainieren kann. Wir müssen uns vor Augen führen, dass in Deutschland die Preisbindung als Absprache zwischen Herstellern und Händlern erst 1974 abgeschafft wurde. Danach wurde sie durch die unverbindliche Preisempfehlung ersetzt, die jedoch im Laufe der Zeit immer mehr aufgeweicht wurde und heute eher die Funktion eines Ankerpreises hat, der die Vorteile von Hauspreisen oder Sonderangeboten besonders deutlich machen soll.

Solche Muster setzen sich natürlich im Kopf fest. Sie bestimmen unser Denken und Handeln. Wenn wir damit groß geworden sind, dass es eine Preisbindung gibt, können wir dieses Denkmuster nur sehr schwer umstoßen, weil wir es als eine ungeschriebene Regel verinnerlicht haben und bei jeder Verhandlung das Gefühl spüren, „so etwas tut man nicht“.

Mittlerweile ist diese Denkweise allerdings veraltet, weswegen wir daran arbeiten sollten, sie ad acta zu legen – genauso übrigens wie den vorauseilenden Gehorsam gegenüber (vermeintlichen) Autoritäten. Wie ist das denn bei Ihnen? Würden Sie als Privatpatient mit Ihrem Arzt über den Preis einer Operation verhandeln oder mit Ihrem Steuerberater Preisgespräche führen? Wahrscheinlich nicht. Der Respekt vor der Autorität ist in solchen Fällen oft einfach zu groß. Gut, wahrscheinlich würden Sie in den eben genannten Beispielen auch nicht wirklich weit kommen, aber in anderen Bereichen schon. Tatsächlich ist es nämlich so, dass jeder Verkäufer versuchen wird, sich als Fachmann für Preise zu profilieren, selbst wenn er nichts von dem Produkt versteht. Wer diese Autorität akzeptiert, wird auf Verhandlungen verzichten, besonders dann, wenn fachliche Autorität und Preisautorität miteinander gekoppelt sind. Aber muss das wirklich sein? Ich finde nicht.

Versuchen Sie doch einfach mal, sich im Alltag ein wenig mehr zu trauen. Beispiel gefällig? Nehmen wir an, Sie hätten einen Bekannten, der seit Jahren mit der öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, außerordentlich gut rechnen kann und für sich festgestellt hat, dass Schwarzfahren durchaus lohnenswert ist – vorausgesetzt natürlich, dass er nicht öfter als drei Mal pro Jahr erwischt wird. Nennen wir ihn der Einfachheit halber Herr Meier. Besagter Herr Meier steigt also in die S-Bahn und freut sich kurz vor der Ankunft an seinem Zielort, dass er es mal wieder kostengünstig geschafft hat, von A nach B zu kommen. Doch dann passiert es: Ein älterer Herr baut sich vor ihm auf, die obligatorische Umhängetasche im Gepäck, und zückt seinen Ausweis: „Fahrscheinkontrolle. Ihren Ausweis bitte.“ Was jetzt? Die übliche Verhaltensweise wäre wahrscheinlich, betreten zu Boden zu blicken und zu hoffen, dass sich irgendwo ein Loch auftut, in dem man versinken kann. Tut es aber nicht – und Herr Meier weiß das. Und er weiß noch mehr: Er erkennt, dass er sich in einer Verhandlungssituation befindet und versucht, seine Möglichkeiten abzuschätzen. Möglichkeit 1: Abstand zwischen sich und den Schaffner bringen und an der nächsten Station, die nur noch Sekunden entfernt ist, aus dem Zug springen. Möglichkeit 2: Dem Schaffner gönnerhaft 20 Euro zustecken, damit er den Vorfall vergisst, und hoffen, dass er sich umdreht. Möglichkeit 3: Einen Schwächeanfall vortäuschen und auf die nächste Gelegenheit warten, sich aus dem Staub zu machen.

Gut, wahrscheinlich ist keine dieser Möglichkeiten wirklich erfolgsversprechend, aber darum geht es auch nicht. Es geht lediglich darum, dass Herr Meier erkennt, dass er sich einer Situation befindet, die er theoretisch noch zu seinem Vorteil drehen kann. In einer Verhandlungssituation. Und genau das ist der erste Schritt, um Verhandlungen trainieren zu können: Indem man sie bewusst wahrnimmt.

Verhandeln ist völlig normal, und kein Händler wird Ihnen etwas zu einem Preis verkaufen, der ihm nicht zumindest eine minimale Gewinnspanne sichert.

Durch Verhandlungserfolge das Belohnungssystem stimulieren

Sie können Ihre eigene Einstellung schrittweise verändern, indem Sie sich zunächst kleine und dann immer größere Verhandlungserfolge verschaffen, die Ihr Belohnungssystem stimulieren. Machen Sie sich bewusst, dass Sie den ganzen Tag über in Verhandlungen stecken und lassen Sie sich ruhig auf dieses Spiel – mit dem sie schließlich schon Ihr Leben lang Erfahrung haben – ein. Waren Sie schon einmal im Urlaub auf einem Basar? Dann wissen Sie vielleicht, wie viel Spaß die Verkäufer daran haben, Ihnen ihre Waren zu verkaufen. Und es wird von Ihnen erwartet zu feilschen, das ist das Spiel.

„Wie viel kostet das?“ – „100 Euro.“ – „Ne, läuft nicht, höchstens 50 Euro.“ – „Waaaas? 50 Euro? Ich habe eine Familie zu ernähren!“ – „Na gut, 60 Euro.“ – „60 Euro? Willst du mich ruinieren? Meine Frau ist schwanger, und wir haben nichts zu essen, und unser Dach hat ein Loch.“

Fazit

So läuft das ab, auf dem Basar. Natürlich mit viel Augenrollen und ausholenden Gesten und mit ein bisschen Glück auch mit einem Gläschen Tee auf die Völkerverständigung. An Dramatik ist dieses Schauspiel kaum zu überbieten – und an Spaß auch nicht. Ganz egal, wie dreist Sie den Verkäufer seines Lebensglücks berauben, am Ende wird er sich fröhlich die Hände reiben und sich freuen, so ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Vergessen Sie also nicht: Verhandeln ist völlig normal, und kein Händler wird Ihnen etwas zu einem Preis verkaufen, der ihm nicht zumindest eine minimale Gewinnspanne sichert. Loten Sie also ruhig aus, was geht. Ihr Gegenüber würde es genauso machen!