Die 10 Regeln der Verhandlungsführung

Das ganze Leben besteht aus Verhandlungen. Das geht am Sonntagmorgen um 6.00 Uhr los, wenn meine Tochter zu früh aufwacht und sich die Frage stellt, wer sich um sie kümmert, und hört am Sonntagabend mit der Diskussion auf, wer denn nun das vergessene Licht im Gang ausmacht. Und dazwischen liegen schätzungsweise noch 100 bis 300 andere Verhandlungen.

Ein paar Beispiele, die Sie vielleicht auch aus Ihrem Alltag kennen: Der alte Wagen läuft noch ganz gut, der neue sieht aber viel besser aus. Neben der Verhandlung mit sich selbst (der tut’s ja eigentlich noch ganz gut) steht dann die Verhandlung mit dem Autohändler an („ob der Wagen morgen noch da ist, kann ich Ihnen nicht garantieren“).
Das lang gesuchte Traumhaus! Endlich hat Ihre Frau es gefunden – und sagt das beim ersten Besichtigen auch gleich dem Makler. Dieser gibt Ihrer Frau natürlich sofort recht. „So ein Schmuckstück findet man nicht alle Tage!“
Die Beförderung steht an. Ihr Chef lobt Sie über alle Maßen. Wenn es einer verdient hat, dann Sie. Was er nicht erwähnt: Die Krise und die damit verbundenen Budgetkürzungen haben leider auch die fällige Gehaltserhöhung verschlungen. Sie haben jetzt zwar mehr Verantwortung, jedoch nicht mehr Gehalt. Glückwunsch!
Sie waren im Urlaub auf Mallorca. Das Wetter war zwar so, wie Sie es erwartet haben, doch das Hotel entsprach nicht ganz der Beschreibung des Katalogs. Sie würden gerne einen Teil Ihres Geldes zurückbekommen. Geht das?

Verhandlungen prägen unseren Alltag. Sie finden permanent statt, auch wenn wir es gar nicht merken. Und das ist oft die Gefahr: Denn – schwupps – haben wir schon wieder verloren. Das mag bei der Frage, wer sich morgens um die Kinder kümmert, noch relativ harmlos sein, geht es aber um Geld, dann hört der Spaß meistens auf. Daher habe ich Ihnen eine Liste mit den 10 wichtigsten Regeln für eine erfolgreiche Verhandlungsführung zusammengestellt. Sie hilft Ihnen sowohl bei den alltäglichen Verhandlungen im Privat- und Berufsleben als auch bei pofessionellen Verhandlungen mit Einkäufern oder Verkäufern.

1. Vorbereitung der Verhandlung

Die erste Regel für erfolgreiche Verhandlungsführung betrifft die Vorbereitung: Hier definieren Sie 70% Ihres Erfolges! Daher ist es wichtig, sich schon im Vorfeld einer Verhandlung einige Gedanken zu machen.
Je mehr Informationen Sie bereits vor der Verhandlung haben, desto weniger müssen Sie im Gespräch noch sammeln. Damit können Sie sich ganz auf die Verhandlung selbst konzentrieren, machen weniger Fehler und können die Schwächen der Gegenseite fast immer nutzen.
Eine optimale Vorbereitung besteht aus diesen drei Schritten:
1. Ermittlung der Ausgangssituation
2. Formulierung der Ziele
3. Auswahl von Strategie und Taktik
Was bei den einzelnen Punkten zu beachten ist, werden wir noch sehen.

2. Analyse der Ausgangssituation

Die Analyse der Ausgangssituation zeigt, wo Sie stehen und wo der andere steht. Sie benötigen daher zunächst Informationen über sich selbst, Ihre Motive und Ziele. Welche Kompetenzen und Befugnisse haben Sie? Welche Ziele verfolgen Sie? Gibt es Alternativen?
Ohne diese grundlegenden Infos werden Sie es schwer haben, Ihren Standpunkt erfolgreich zu verteidigen und Ihre Ziele durchzusetzen.

In meiner früheren Praxis als Einkäufer habe ich festgestellt, dass man immer wieder mit Angeboten konfrontiert wird, die so eindeutig unter denen der Wettbewerber liegen, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als zuzugreifen. Der Fehler, den man dann oft macht, besteht darin, erstens nur auf den Preis zu schauen und zweitens die Situation isoliert und nicht im Zusammenhang mit weiteren Entwicklungen zu betrachten.
Ein guter Einkäufer sollte deshalb immer zusätzliche Informationen sammeln, indem er gravierende Preisdifferenzen hinterfragt. Tatsächlich stellt sich dann oft heraus, dass die Produkte oder Leistungen nicht eins zu eins vergleichbar sind, sondern sich in Details, die durchaus wichtig sein können, ganz erheblich unterscheiden. Natürlich wird ein Verkäufer nur sehr ungern zugeben, dass es sich um einen politischen Preis handelt oder um einen Einstiegspreis, mit dem er sich die Tür zu einem neuen Kunden öffnen möchte.
Eine genaue Kenntnis und Analyse des Marktes spielt also bei der Ermittlung der Ausgangssituation eine wichtige Rolle.

Aber auch persönliche Aspekte spielen eine Rolle: Hobbys, Familie, Präferenzen hinsichtlich Essen, Politik und Religion. All das können nützliche Informationen für uns sein.

3. Profiling des Verhandlungspartners

Sie werden den Begriff „Profiling“ vermutlich aus den einschlägigen Krimi-Serien kennen. Dort betreiben die Ermittler Profiling, um mit möglichst exakten Täterprofilen einem Verbrecher auf die Spur zu kommen.
Uns hilft Profiling, indem wir im Vorfeld einer Verhandlung ein Persönlichkeitsprofil unseres Verhandlungspartners erstellen. Um später die richtige Strategie und Taktik anwenden zu können, müssen wir schließlich wissen, mit wem wir es zu tun haben.
Fragen, die wir uns daher stellen sollten, sind: Wer ist der andere? Wie ist er gestrickt? Und wie weit reichen seine Befugnisse? Aber auch persönliche Aspekte spielen eine Rolle: Hobbys, Familie, Präferenzen hinsichtlich Essen, Politik und Religion. All das können nützliche Informationen für uns sein.
Wie in diesem Beispiel:
Wir haben einmal einen Einkäufer gecoacht, der in einer Verhandlung gegen einen Monopolisten antreten musste. Im Profiling fanden wir heraus: Der Verkäufer war 50 Jahre alt, verheiratet, hatte ein Wohnmobil, machte seit 20 Jahren Urlaub in Italien, aß gerne, trank gerne und war ein rundum gemütlicher Mensch – außer bei Verhandlungen. Da war er garstig. Unser Kunde hatte durch Glück und Zufall ein Werk in Südtirol.
Was haben wir gemacht? Wir haben die Verhandlungen auf einen Donnerstagmorgen, 8.00 Uhr, nach Südtirol verlegt. Was hieß das für den Verkäufer? Er reiste am Tag vorher an, im Wohnmobil, hatte seine Frau dabei und freute sich auf ein langes Wochenende in Südtirol. Als er dann bei meinem Kunden aufschlug, schaffte er es nicht, seine Fäuste hochzunehmen. Er war schließlich dankbar für das schöne Wochenende, das ihm beschert wurde. Dieselbe Verhandlung wäre 800 Kilometer nördlich sicher ganz anders gelaufen: Er wäre am Freitagmorgen hereingekommen und hätte die Verhandlung ohne Kompromisse durchgezogen.
Wir sollten bei Verhandlungen also immer daran denken, dass sie zwischen Menschen stattfinden. Und je mehr ich über mein Gegenüber weiß, desto mehr kann ich auf ihn eingehen.

4. Ziele der Verhandlung definieren

Zum Thema Ziele sind schon viele ausführliche Abhandlungen veröffentlicht worden. Daher an dieser Stelle das Wichtigste kurz und knapp: Sie brauchen ein Minimalziel und ein Maximalziel. Definieren Sie, was das Mindeste ist, das Sie erreichen wollen, und was das Beste ist, das Sie erreichen können. Achten Sie aber darauf, dass beide Vorhaben realistisch und messbar sind.
Nützlich ist es auch, sich klarzumachen, welche Ziele die Gegenseite hat.

5. Worst-Case-Szenarien ausmalen

Was tun Sie, wenn Sie Ihr Minimalziel nicht erreichen? Sie brauchen einen Plan B.
Ein Einkaufsleiter einer bayerischen Firma musste einmal mit einem wahren Monopolisten verhandeln. Dazu muss man wissen: Der Einkaufsleiter war ein richtiger bayerischer Stierkopf, mit verkürztem Nacken und weiß-blau kariertem Hemd. Der Monopolist saß relativ lässig und arrogant lächelnd da und wollte im Preis absolut nicht runtergehen. Irgendwann hat es dem bayerischen Einkäufer gereicht. Er hat mit der Faust auf den Tisch gehauen und den Monopolisten angeschrien: „Hauen Sie ab. Ich will Sie nicht mehr sehen. Raus mit Ihnen!“
Da war der erst einmal baff. Und man konnte in seinem Gesicht ein riesiges Fragezeichen sehen. Diesen Spruch hatte er als Monopolist noch nie gehört. Das heißt, er wurde völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Und was geschah dann? Er ging nicht aus dem Büro, sondern ist mit den Preisen runtergegangen. Der Einkaufsleiter hatte Erfolg mit seiner Taktik. Das Ganze hätte aber auch in die Hose gehen können. Der Monopolist wäre in diesem Fall aufgestanden, und der Einkaufsleiter wäre ohne einen Lieferanten zurückgeblieben. Dann wäre es dem Einkaufsleiter wohl an den Kragen gegangen. Aber das konnte ihm egal sein, denn er besaß neun Häuser in München. Wenn ihm gekündigt worden wäre, hätte er sich bis zur Rente um die Verwaltung dieser Häuser gekümmert. Dieses persönliche Worst-Case-Szenario war besser als mein persönliches Best-Case-Szenario.

6. Verhandlungsstrategie und Taktik festlegen

Es gibt vier zentrale Verhandlungssrategien, die wir einsetzen können: Druck, Partnerschaft, Ausweichen, Nachgeben. Umsetzen können wir diese mit verschiedenen Taktiken.
Welche Taktiken können wir beispielsweise bei der Verhandlungsstrategie Druck einsetzen? Da wäre zunächst einmal das Drohen: Wenn etwas nicht so passiert, wie wir es wollen, dann sind die Folgen sehr unangenehm für den Verhandlungsgegner. Oder man erwähnt den Wettbewerb: Was glauben Sie, wie oft ich schon Rabatt im Elektrohandel bekommen habe, nur weil ich ein Inserat des Wettbewerbers dabei hatte? Man kann aber auch mit Fristen Druck erzeugen, nämlich Zeitdruck: Wenn ein Angebot nur noch diese Woche gilt oder sich die Lieferzeiten ab nächster Woche extrem verzögern, kann das den Gegner zu Entscheidungen drängen.

7. Wechsel zur Meta-Ebene

Bei verfahrenen Situationen empfiehlt es sich, aus der emotionalen Mikro-Ebene herauszutreten, um auf der Meta-Ebene das Ziel und den Weg dorthin wieder zu sehen. Konkret bedeutet das, die Perspektive zu verändern und das Geschehen von oben, d. h. von einer sachlichen und objektiven Ebene aus, zu betrachten.
Verdeutlichen kann man das an folgendem Beispiel: Sie fahren von Stuttgart nach Ulm zu einem Kunden. Unterwegs bildet sich plötzlich ein Stau auf einer Landstraße. Auf der Mikroebene heißt das: Es geht nur noch schleichend voran, ein Ende ist nicht in Sicht. Die Ursache ist ebenfalls unklar. Welche Möglichkeiten gibt es nun? Erstens: Sie bleiben auf dieser Straße und hoffen, dass sich der Stau schnell auflöst. Zweitens: Sie drehen um und fahren zurück nach Hause. Beide Lösungen sind nicht wirklich zielführend. Die Lösung ist daher, sich auf die Metaebene zu begeben und die Situation aus der Vogelperspektive zu betrachten. Sie werden erkennen: In wenigen Metern kommt eine Wendemöglichkeit, dort können Sie drehen, zur nächsten Abzweigung fahren und von dort über kleine Dörfer schließlich doch noch Ihr Ziel erreichen.

8. Woran kann meine Verhandlung scheitern?

Die häufigsten Ursachen für scheiternde Verhandlungen sind:

  • Falsche oder keine Ziele
  • Falsche oder keine Strategie
  • Falsche Einschätzung des Gegenübers
  • Kein Plan B
  • Zeitmanagement

Gehen Sie doch im Geiste einmal die Verhandlungen durch, die aus Ihrer Sicht nicht positiv verliefen. Erkennen Sie den gemeinsamen Nenner? Dann können Sie an diesem Aspekt arbeiten und ihn künftig vermeiden.

„Wenn ich in einen Kampf gehe, bin ich jedes Mal bereit zu sterben.“

9. Innere Einstellung verbessern

Wie wichtig ist mir die Verhandlung? Wie brenne ich dafür? Die persönliche Motivation, eine Verhandlung wirklich gewinnen zu wollen, ist oft wichtiger als harte Fakten. Wenn Sie nur halbherzig hinter einer Sache stehen, haben Sie wenig Chancen auf Erfolg.
Man kann generell zwei Formen von Motivation unterscheiden: Intrinsische Motivation bedeutet, dass die Ausführung der Handlung aus sich heraus schon Belohnung genug ist. Zum Beispiel, weil Ihnen etwas Spaß macht oder Ihre Neugierde stillt. Im Gegensatz dazu sind bei der extrinsischen Motivation äußerliche Belohnungen an die Handlung geknüpft, zum Beispiel ein Lob oder eine Bonus-Vergütung. Eine extrinsische Motivation kann aber auch die Vermeidung von Bestrafung oder Tadel sein.

10. Keine Angst haben

Die letzte Regel für erfolgreiche Verhandlungen können Sie auch in anderen Lebenslagen anwenden: Es ist schon beeindruckend, wie wir uns und unser Leben von der Angst bestimmen lassen. Sei es im Privatleben oder im Beruf. Wie zum Teil völlig unbegründete Ängste uns von den Chancen des Lebens abhalten. Wie Angstmacher uns beherrschen und das Leben dominieren können. Angst schränkt die Sicht- und Denkweise ein.
Es gab einmal im Mittelalter einen Faustkämpfer, der von Markt zu Markt zog. Er hatte einen Beutel Gold als Kampfeinsatz dabei und suchte einen Gegner. Wer gewann, bekam beide Goldbeutel, der Verlierer ging leer aus. Der Kämpfer war weder besonders stark, noch besonders groß. Und trotzdem gewann er alle Kämpfe. Als er wieder einmal gewonnen hatte, fragte ihn der Größere und Stärkere, warum er verloren habe, obwohl er doch größer und stärker sei. Wie sei das möglich? Der kleinere und schwächere Kämpfer erwiderte: „Wenn ich in einen Kampf gehe, bin ich jedes Mal bereit zu sterben.“
Sind Sie das auch?
Glücklicherweise ist die Gefahr, in Verhandlungen zu sterben, eher gering. Was kann also schlimmstenfalls passieren?

Das waren die 10 wichtigsten Regeln für erfolgreiche Verhandlungen. Picken Sie sich zwei oder drei davon heraus und konzentrieren sich darauf, diese bei den nächsten Verhandlungen anzuwenden. Sobald diese Maßnahmen sitzen, nehmen Sie sich die nächsten vor. Das machen Sie so lange, bis Sie bei jeder Verhandlung an alle Regeln denken und sie erfolgreich einsetzen können.